Karl Kraus ca. Die Stunde

Wien
10.12.1925 - 22.03.1927

[25.] In der Stunde erschien der Artikel "Dem Kiebitz ist nichts zu teuer. Karl Kraus denunziert schon wieder die Sozialdemokraten", in dem Karl Kraus unterstellt wurde, ein "Denunziant" mit "psychopathischer Selbstüberschätzung" und monarchistischer Einstellung zu sein. Ein Brief von Kraus an Wilhem Liebknecht, den damaligen Führer der deutschen Sozialdemokratie, wurde als Beleg abgedruckt. Kraus hatte um 1900 an Liebknecht geschrieben:

"Würden Sie nicht Lust verspüren, einen Mahnruf an die Wiener Sozialdemokratie, die [...] unermüdlich der jüdischen Bourgeoisie die Kastanien aus dem Feuer der sogenannten 'Reaction' holt, durch die 'Fackel" hinauszustoßen?" (25.1.)

Kraus beantragte Voruntersuchungen gegen den verantwortlichen Redakteur Marc Siegelberg und weitere unbekannte Täter wegen Übertretung des § 45 des Urheberrechtsgesetzes. Nachdem in diesen Voruntersuchungen die Person, die den Brief weitergegeben hatte, nicht ermittelt werden konnte, klagte Kraus den verantwortlichen Redakteur Marc Siegelberg. Siegelbergs Verteidigung, dass der fragliche Brief kein literarisches Werk sei und nicht unter das Urheberrecht falle, wurde abgelehnt. Er wurde zu einer Geldstrafe von 40 Schilling, zur Übernahme der Kosten des Strafverfahrens und zur Veröffentlichung des Urteils in der Stunde und der Arbeiter-Zeitung verurteilt.