Karl Kraus ca. Reichspost

Wien
29.11.1922 - 14.03.1923

[2.] Die Reichspost brachte einen Artikel zu Kraus' religiösem "Kreislauf" (Judentum/Katholizismus/Austritt). Kraus und Samek forderten die Berichtigung falscher Darstellungen in diesem Artikel (vgl. dazu Die Fackel 601-607, November 1922, S. 4-5). Da die Berichtigung nicht erfolgte, klagten Kraus und Samek den verantwortlichen Redakteur Karl Schiffleitner, der die Berichtigung als irrelevant abgelehnt hatte. In der Anklageschrift wurde die Bedeutung des Hinzufügens und Weglassens einzelner Worte, die zur Entstellung des Grundgedanken führten, genau erörtert (u.a. ging es um die Interpretation des Wortes „also"). Im Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien wurde Kraus und Samek im Bezug auf wörtliche Zitate Recht gegeben, insgesamt aber wurde die Reichspost freigesprochen. Kraus und Samek legten Berufung ein, worin sie versuchten, das "Meinungswesen", den "Meinungsstoff" und die "Meinungsfarbe" von Worten zu erklären: "Das Urteil verwechselt durchaus den äussern Wortcharakter der Bestandteile der Behauptung mit dem Wesen der Behauptung." Doch auch das Landesgericht in Strafsachen I Wien wies die Berufung zurück.