Paul Amadeus Pisk ca. Karl Kraus

Wien
15.07.1929 – 27.07.1929

[134.] Im Juli 1929 klagte der Musikkritiker Paul Amadeus Pisk Kraus wegen Ehrenbeleidigung – dieser hätte ihn in einer Vorlesung am 7. Juni 1929 als "Schlieferl" angegriffen. Pisk berief sich auf mehrere Zeugen, die in der Vorlesung saßen.

Oskar Samek betonte in seiner Verteidigung, dass zum einen nicht Pisk persönlich, sondern vielmehr die Arbeiter-Zeitung allgemein in Kraus' Vortrag angegriffen worden sei. Ausführlich beschrieb er dabei, wie Vorlesungen von Kraus abliefen - Kraus könne Pisk persönlich im Dunkel des Vorlesungssaales gar nicht erkannt haben. Zum anderen trat Samek den Wahrheitsbeweis an: Der Ausdruck "Schlieferl" im Sinne von "Schmeichler und Liebdiener" - eine detaillierte Begriffserläuterung war miteinbegriffen - habe im Bezug auf Pisk durchaus seine Berechtigung, weil dieser als Musikkritiker sowohl im Dienste der linken Wiener Arbeiter-Zeitung als auch des rechten Berliner Börsenkurier stehe. (134.22.)

Der Komponist Hanns Eisler bestätigte Kraus brieflich Pisks Gesinnungsheuchelei - bei Pisks "erstaunlichem moarlischen Tiefstand" dürfe er sich eigentlich über die "so nachsichtige, liebenswürdige verzeihende Aeusserung 'Schliaferl' nur bedanken" (134.8.). Pisk betonte in seiner Gegendarstellung, dass der in der Fackel abgedruckte Text keinesfalls mit Kraus vorgetragenem Text ident gewesen sei, er referierte über Kraus "Vorbestrafungen" und war sicher, dass Kraus durch seine Clique von seiner Anwesenheit im Saal Kenntnis gehabt habe. Zudem habe er im Bezug auf Pisk den Präsens benutzt ("Es hat sich jemand in den Saal verirrt...").

Sameks Wahrheitsbeweis erklärte Pisk für unzulässig. Kraus verlor den Prozess. Auch der ausführlichen Berufung, in der Pisks Zeugen diverser Widersprüchlichkeiten überführt wurden und nochmals der Wahrheitsbeweis angetreten wurde, wurde nicht stattgegeben.