102. Vorlesung am 01.04.1917

Wien
01.04.1917

[Kraus']  Vorlesung im Kleinen Konzerthaussaal, Sonntag, 1. April 1917, 3 Uhr nachmittags: I. Goethes Volk / Von einem Mann namens Ernst Posse / Ein Irrsinniger auf dem Einspännergaul / Aus: François Rabelais’ »Gargantua« (»Wie etliche von Pikrochollers Hauptleuten ihn durch hitzige Ratschläge in Gefahr brachten.«) Übersetzung von Hegaur und Owlglaß. II. Keine Schweißfüße mehr! / Das kann in England nicht ohne Eindruck bleiben / Einer aus dem Schützengraben / Schon wieder eine Forderung! / Ich höre / Ein Bild / Zeichen und Wunder / Das hätte ich nicht erfinden können / Pfleget den Fremdenverkehr / Was sich am Ende der Zeit begab. III. Die letzten Tage der Menschheit (Aktschluß einer Tragödie) / Gebet. Ein Teil des Ertrages ist wohltätigen Zwecken zugewendet worden. (Desgleichen von der Vorlesung vom 4. März, was in Nr. 454—456 nicht vermerkt war.) [Die Fackel 457-461, 10.05.1917, 62] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

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I.

"Deutscher werde stolz!" (Ein Zitat)

Goethes Volk

Von einem Mann namens Ernst Posse

Ein Irrsinniger auf dem Einspännergaul

Aus: François Rabelais "Gargantua" ("Wie etliche von Pikrochollers Hauptleuten ihn durch hitzige Ratschläge in Gefahr brachten")

Übersetzt von Hegaur und Owlglaß

Dem Buch, dessen zeitliche Wahrheit dem Genius zugehören mochte, aber dessen Genießbarkeit um seiner appetitwidrigen Humore willen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unbegreiflich bleibt, sichert dies eine Kapitel XXXIII die Unsterblichkeit, mehr: die Lebendigkeit zuverlässigster Ahnung von dem, was sich erst heute begibt. Die Satire wird vollkommen durch die vollkommene Ahnungslosigkeit der deutschen Übersetzer, die, dem patriotischen Simplicissimus-Kreise angehörig, sich heute verwundern mögen, an welcher Satire sie da mitgearbeitet haben.

10 Minuten Pause

II.

Keine Schweißfüße mehr!

Das kann in England nicht ohne Eindurck bleiben

Papierknappheit in Österreich 

Einer aus dem Schützengraben

Schon wieder eine Forderung!

Ich höre

Ein Bild

Zeichen und Wunder

Vor dem Krieg: Das hätte ich nicht erfinden können ; Pfleget den Fremdenverkehr 

Was sich am Ende der Zeit begab

Die letzten Tage der Menschheit (Aktschluß einer Tragödie)

(Personen: Hofrat und Hofrätin Schwarz-Gelber)

Das gemeine, allzu verständliche, zeit- und ortsnahe, handgreiflich komische Material pathetischer Darstellung macht es dem Hörer oft schwer, ein Lachen, das eine höhere Empfänglichkeit stört, zu unterdrücken. Solche, z. B. bei einer Glosse wie »Vor dem Höllentor« immer wieder beobachtete Erscheinung wird namentlich für den Vortrag dieser dramatischen Szene befürchtet, deren Schauder eben, wie ein Nachdruck des Alps, von allem, was uns gegenwärtig ist, bezogen wurde. Möchte doch der und jener vergessen, daß Namen Bekannte sind, und sie wie der Ortsfremde und wahrlich auch wie der Nachlebende dieser Schande nur als Symbole wiedererkennen! Und spüren, daß der entsetzlichste Dialekt, den je das Menschenohr vernommen hat, kein Jargonscherz, sondern die Tragödie selbst sei, die keine Intimität aufkommen läßt. Der Vortragende trägt auch die Pein vor, daß seine Zeugenschaft ihn zu solchem Zeugnis gezwungen hat. Es ist nur die Scham, die er ablegt, weil er sie erlebt hat. Die Ort- und Zeitgenossen dessen, was da ausgesagt ist, werden eben dafür, daß sie es waren, dereinst Rechenschaft abzulegen haben. Hätten sie dazu gelacht, weil ihnen Milieu und Adressen geläufig waren, so wären sie nicht allein Mitschuldige, sondern auch Mitwirkende!

3 Minuten Pause

III.

Möderin Presse

Ich stoß dir die Augen aus!

Gebet

Änderung und Kürzung des Programms vorbehalten.

Ein Teil der heutigen Veranstaltung wird wohltätigen Zwecken zugewendet.

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