110. Vorlesung am 09.12.1917

Wien
09.12.1917

[Karl Kraus las im Kleinen Konzerthaussaal am] 9. Dezember, halb 4 Uhr: I. Pandora, ein Festspiel (Fragment) von Goethe. II. Szenen aus: Die letzte Nacht, Epilog zu der Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus (Drei sterbende Soldaten. Männliche und weibliche Gasmaske. Zwei Kriegskorrespondenten. Ein Feldwebel. Die Kriegskorrespondentin. Ein Totenkopfhusar.) Der General; Doktor ing. Abendroth aus Berlin; Der Erblindete; Fressack und Naschkatz, Hyänen; Der Herr der Hyänen; Drei gelegentliche Mitarbeiter; Stimmen von unten; Stimmen von oben; Zwei Ordonnanzen; Die Kinooperateure; Eine Stimme von unten; Eine Stimme von oben; Die Stimme Gottes (Die Szenen mit den in Klammern angeführten Erscheinungen wurden nicht vorgelesen.) [...] (Der volle Ertrag für den Arbeiterverein »Kinderfreunde«.) [Die Fackel 474-483, 23.05.1918, 90-91] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

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Pandora (Fragment) - Ein Festspiel von Goethe

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10 Minuten Pause

Szenen aus: Die letzte Nacht

Epilog zu der Tragödie "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus

[Drei sterbende Soldaten. Männliche und weibliche Gasmaske. Zwei Kriegskorrespondenten. Ein Feldwebel. Die Kriegskorrespondentin. Ein Totenkopfhusar.]

Der General

Doktor ing. Abendroth aus Berlin

Der Erblindete

Hyänen: Fressack; Naschkatz

Der Herr der Hyänen

Drei gelegentliche Mitarbeiter

Stimmen von unten

Stimmen von oben

Zwei Ordonnanzen

Die Kinooperateure

Eine Stimme von unten

Eine Stimme von oben

Die Stimme Gottes

[Die Szenen mit den in Klammern angeführten Erscheinungen werden nicht vorgelesen.]

Änderung und Kürzung des Programms vorbehalten.

Das übliche Saalerlebnis, daß gewisse Solisten der Hörerschaft das Vergnügen über die leichte Agnoszierung zeit- und ortsbekannter Namen und Klänge nicht unterdrücken können, möge dem Vorleser diesmal erspart bleiben. Er ist nicht darauf erpicht, solche Beweise der Eingeweihtheit, solche Bekenntnisse der Bekanntschaft und Verwandtschaft mit den trostlosen Anlässen seiner Gestaltung als Erfolg einzuheimsen. Die Übernahme der komischen Trivialität in das Grauen sollte das Unglück, in dieser Zeit und an diesem Ort zu leben, tiefer fühlen lassen und keineswegs damit versöhnen. Da die Absicht fehlschlägt, flüchtet der Vorleser oft genug zu Shakespeare und Andern, froh der verminderten Gefolgschaft und des
Zurückbleibens jener, die an solchen Abenden »nicht auf ihre Kosten kommen«. Goethe wäre ein vollkommener Schutz, wenn er den Abend füllte. Da es nicht der Fall ist und eben diesmal die Meinung Platz greifen könnte, daß ein Wiener Weltuntergang ein Spassettl sei, möge die Bitte helfen, in der Erheiterung Maß zu halten. Hilft sie nicht, so ist von jenen besseren Teilen des Publikums, deren Erschütterung bis zur Garderobe und sogar darüber hinaus vorhält und deren Empfänglichkeit oder Würde diese Vorlesungen nicht völlig zur beschämten Preisgabe eines Geheimnisses macht, zu erwarten, daß sie die unbewegten Lacher und Freunde stofflicher Reize zurechtzischen werden, so daß solche es künftig vorziehen, anstatt in diesem Saal bei den Quellen ihrer Belustigung einzukehren. Zur leichteren Orientierung, welche Hörer hier gemeint sind, diene das Gefühl jener, die sich durch diese Erklärung getroffen fühlen oder soeben etwa zu dem Ausruf »Das hat die Welt nicht gesehn!« geneigt wären. Ihnen wird, mit der Beruhigung, daß Goethe sie ohnedies langweilen dürfte, anheimgestellt, sich vor Beginn geräuschlos zu entfernen und ihr Eintrittsgeld an der Kassa zu beheben.

Der volle Ertrag wird dem Arbeiterverein »Kinderfreunde« (V. Rechte Wienzeile 97) zugeführt.

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