111. Vorlesung am 16.12.1917

Wien
16.12.1917

[Karl Kraus las im Kleinen Konzerthaussaal am] 16. Dezember, halb 4 Uhr: I. Aus »Demokritos« (Karl Julius Weber), mit Vorbemerkung / Es ist alles da, es ist nicht so wie bei arme Leute / Der Untergang der Verité / Mit einem vollen Tropfen Druckerschwärze gesalbt (»Die Bedeutung der Presse im Weltkrieg«) / Stellen wir uns vor (Ein Satz) / Ein Bild / Szene in einem Palais / Ein Winkelried / Schon wieder eine Forderung! / Das letzte Duell / Der jüngste Ehrendoktor / Ein Irrsinniger auf dem Einspännergaul / Schonet die Kinder! / Denn wir sind ein Kulturvolk / Lied des Alldeutschen. II. Szenen aus: Die letzte Nacht, Epilog zu der Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit.« (Diesmal auch: Männliche und weibliche Gasmaske.) [...] (Ein Teil des Ertrages für eine Arme, der beide Söhne getötet wurden.) [Die Fackel 474-483, 23.05.1918, 91] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

[...]

I.

Aus »Demokritos« (Karl Julius Weber), mit Vorbemerkung

Es ist alles da, es ist nicht so wie bei arme Leute

Der Untergang der Verité

»Die Bedeutung der Presse im Weltkrieg«

Ein Satz

Ein Bild

Szene in einem Palais

Eine Vorkämpferin

Schon wieder eine Forderung!

Das letzte Duell

Der jüngste Ehrendoktor

Ein Irrsinniger auf dem Einspännergaul

Schonet die Kinder!

Denn wir sind ein Kulturvolk

Lied des Alldeutschen.

10 Minuten Pause

II.

Szenen aus: Die letzte Nacht

Epilog zu der Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit.«

[Drei sterbende Soldaten.  Zwei Kriegskorrespondenten. Ein Feldwebel. Die Kriegskorrespondentin. Ein Totenkopfhusar.]

Männliche und weibliche Gasmaske

Der General

Doktor ing. Abendroth aus Berlin

Der Erblindete

Hyänen: Fressack; Naschkatz

Der Herr der Hyänen

Drei gelegentliche Mitarbeiter

Stimmen von unten

Stimmen von oben

Zwei Ordonnanzen

Die Kinooperateure

Eine Stimme von unten

Eine Stimme von oben

Die Stimme Gottes

[Die Szenen mit den in Klammern angeführten Erscheinungen werden nicht vorgelesen.]

Das übliche Saalerlebnis, daß gewisse Solisten der Hörerschaft das Vergnügen über die leichte Agnoszierung zeit- und ortsbekannter Namen und Klänge nicht unterdrücken können, möge dem Vorleser diesmal erspart bleiben. Er ist nicht darauf erpicht, solche Beweise der Eingeweihtheit, solche Bekenntnisse der Bekanntschaft und Verwandtschaft mit den trostlosen Anlässen seiner Gestaltung als Erfolg einzuheimsen. Die Übernahme der komischen Trivialität in das Grauen sollte das Unglück, in dieser Zeit und an diesem Ort zu leben, tiefer fühlen lassen und keineswegs damit versöhnen. Da die Absicht fehlschlägt, flüchtet der Vorleser oft genug zu Shakespeare und Andern, froh der verminderten Gefolgschaft und des
Zurückbleibens jener, die an solchen Abenden »nicht auf ihre Kosten kommen«.  Da aber eben diesmal die Meinung Platz greifen könnte, daß ein Wiener Weltuntergang ein Spassettl sei, möge die Bitte helfen. Wenn nicht, so ist von jenen besseren Teilen des Publikums, deren Erschütterung bis zur Garderobe und sogar darüber hinaus vorhält und deren Empfänglichkeit oder Würde diese Vorlesungen nicht völlig zur beschämten Preisgabe eines Geheimnisses macht, zu erwarten, daß sie die unbewegten Lacher und Freunde stofflicher Reize zurechtzischen werden, so daß solche es künftig vorziehen, anstatt in diesem Saal bei den Quellen ihrer Belustigung einzukehren. Zur leichteren Orientierung, welche Hörer hier gemeint sind, diene das Gefühl jener, die sich durch diese Erklärung getroffen fühlen oder soeben etwa zu dem Ausruf »Das hat die Welt nicht gesehn!« geneigt wären. Ihnen wird, mit der Beruhigung, daß Goethe sie ohnedies langweilen dürfte, anheimgestellt, sich vor Beginn geräuschlos zu entfernen und ihr Eintrittsgeld an der Kassa zu beheben.

Änderung und Kürzung des Programms vorbehalten.

Ein Teil des Ertrages wird einer Armen, der beide Söhne getötet wurden, zugewiesen. Etwaige Spenden übermittelt der Verlag der Fackel, III. Hintere Zollamtsstraße 3.

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