271. Vorlesung am 19.05.1923

Wien
19.05.1923

[Karl Kraus las im Kleinen Konzerthaussaal am] 19. Mai, ½4 Uhr:

Shakespeare, Die lustigen Weiber von Windsor, nach der Baudissin’schen Übersetzung (Schlegel-Tieck) bearbeitet vom Vorleser. (Begleitung: Viktor Junk).

Programmbemerkung wie bei den früheren Vorlesungen.

Der volle Ertrag — zu ermäßigten Preisen —: K 443.900 für die Verpflegung der Zöglinge des Blindeninstitutes (II. Wittelsbachstraße 5).

Dem Grabfonds sind zugeflossen: … = K 9,339.340, č K 664·50, poln. M 20.500, M 114.096, schwed. K 10 und Lei 20 (Eine Sammlung im Auditorium vom 14. Mai hatte K 1,085.000 gebracht).

Das Ergebnis (mit dem Erlös aus fremden Valuten = K 1,948.927) ist somit: K 11,288.267. Die Sammlung wird abgeschlossen, allen Spendern Dank gesagt und der etwa notwendige Restbetrag vom Erträgnis der Vorlesungen beigestellt.

Seit dieser Vorlesung sind noch dazugekommen: Für ein Altenberg-Autogramm (Brief über Jóža Úprka in Nr. 60 der ‚Fackel‘) aus dem Besitz der Frau Marie T. K 750.000, vom
Ertrag der Vorlesung 30. April K 735.400 und Spenden (mit fremden Valuten) von K 86.556, so daß bis zur Drucklegung dieses Heftes die Gesamtsumme K 12,860.223 beträgt.

[Die Fackel 622-631, 06.1923, 115] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

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Die lustigen Weiber von Windsor, Lustspiel in fünf Aufzügen von Shakespeare

übersetzt von Wolf Heinrich Graf Baudissin (Schlegel-Tieck’sche Ausgabe), bearbeitet vom Vorleser

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Das Programm der ersten Vorlesung (24. Mai 1916, zur Feier von Shakespeares 300. Todestag) enthielt folgende Bemerkung:

Das Werk ist im Burgtheater zum ersten Mal gespielt worden »zum Vorteile des k. k. Hofschauspielers und Regisseurs Josef Koberwein bei seinem Abschied von der Bühne« am 16. Dezember 1846; wiederholt: am 17., 20., 27. Dezember, am 6. Jänner 1847, am 14. und 21. Jänner 1849. Von da an erscheint es nicht mehr im Repertoire, wiewohl es seit den Tagen, da Falstaff La Roche, Fluth Löwe, Page Anschütz, der Wirt Koberwein und Beckmann waren, das echteste Burgtheaterstück geblieben ist, so dort eingepflanzt, daß der Vorleser sich an die Aufführung mit Baumeister, Hartmann, Lewinsky und Gabillon, des weiteren mit Thimig, Arnsburg, Schöne und den Damen Gabillon, Mitterwurzer und Helene Hartmann erinnert, ohne sie nachweisen zu können, und die Lust nicht bereut, ein fernes Echo solcher Stimmen manchmal anklingen zu lassen. Warum diese Krönung des Falstaff-Humors, aus der königsdramatischen Episode zur Bühnenfülle eines tragischen Hanswurstes, warum diese vollkommene Heiterkeit der Fluth-Szenen mit ihrem gewendeten Othello-Pathos der letzten Schauspielergeneration entgehen mußte, ist unbegreiflich. Das Publikum, das wohl schon damals sein heutiges Burgtheater, welches Shakespeare-Aufführungen aus Takt unterläßt, verdient hat, scheint hier dem Besten, was seine Bühne geben konnte, sich ebenso gesperrt zu haben wie vor dem durchgefallenen Gogol’schen »Revisor«. Angesichts der redlichen Unzulänglichkeit des neuesten Burgtheaters und der unredlichen jenes Berliner Managers möchte es die Stimme des Vorlesers verlocken, ein dekorationsfreies Shakespeare-Theater ins Leben zu rufen, auf dem alle Organe, die uns einst so viel zu sagen hatten, wieder lebendig würden, wobei sie dem Verdachte varietéhaft äußerlicher Nachbildung einer Vielheit wohl zu entgehen wüßte. Sie würde es sich zutrauen, Vorstellungen von Werken wie Lear, Macbeth, Wintermärchen, Die Widerspenstige mit einer bis in die kleinsten Rollen bewahrten Treue so nachzugestalten, daß ein geschlossenes Auge und ein offenes Ohr der Zeugen jener lebendigen Herrlichkeit nicht mehr den Apparat vermißte, der heute für das offene Auge und das geschlossene Ohr seine toten Wunder verrichtet. Ein so rekonstruiertes älteres Burgtheater, freilich ohne Stammsitze für die Kritik, wäre vielleicht wichtiger als ein Phonograph, der die Stimmen der heutigen Schauspieler für die Nachwelt aufbewahrt, und geeignet, diese schnell noch etwas profitieren zu lassen, wenn’s ihnen gestattet wäre, zu hören statt zu sprechen. Der heutige Versuch, dem, weil denn die Zeit andere, schwerere Aufgaben vom Organ des Vorlesers verlangt, vermutlich doch keine weiteren folgen werden, will sich — ohne Konsequenz — mit der Markierung von Stimmen begnügen, die eben nie an der Darstellung der »Lustigen Weiber von Windsor« beteiligt waren. Er findet seine Rechtfertigung in der Gewißheit, daß Menschheitstypen von der Zeit her, wo »der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters« noch Besseres auszusagen hatte, an die Burgtheaterstimmen gebunden bleiben.

Nach dem zweiten Aufzug eine kleine Pause, nach dem dritten eine von 10 Minuten

Die Nicolai’sche Musik vor Beginn und in den Pausen, Verwendung von Motiven in der Elfen-Szene: Dr. Viktor Junk.

Der volle Ertrag für die Verpflegung der Zöglinge des Blindenerziehungsinstitutes (II. Wittelbachstraße 5)

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