375. Vorlesung am 20.02.1926

Wien
20.02.1926

[Karl Kraus las im Mittleren Konzerthaussaal am] 20. Februar:

Zum ersten Male

Blaubart

Operette in 3 Akten (4 Bildern) von Jacques Offenbach

Text nach Meilhac und Halévy von Julius Hopp, bearbeitet vom Vortragenden

Begeitung: Otto Janowitz (Staatsoper)

[Die Fackel 717-723, 03.1926, 98] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

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Zum ersten Male

Blaubart

Operette in 3 Akten (4 Bildern) von Jacques Offenbach

Text nach Meilhac und Halévy von Julius Hopp, bearbeitet vom Vortragenden

Begleitung: Otto Janowitz (Staatsoper)

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Als Grundlage der Bearbeitung haben die schönen alten Soufflier- und Regiebücher des Theaters an der Wien (im Besitze der Nationalbibliothek) nebst dem recht unvollständigen Gesangstextbuch des Verlags Bote und Bock (1875) und dem Text der Partitur gedient.

Der Dialog ist, abgesehen von den aktuellen Zusätzen, zu denen die Szene der Unwirklichkeit Erlaubnis und Spielraum bietet, sprachlich vielfach erneuert worden, auch dort wo er äußerlich der gleiche geblieben ist. Durch die Weglassung der Zigeuner-Episode im vierten Bild geschieht, im Gegensatz zu den Aufführungen, der Handlung kein Eintrag. Neu ist das Gespräch der Pagen, deren einem das reizende Lied der Clementine in den Mund gelegt ist, das in keinem der vorhandenen Theatertexte Platz gefunden hat, an keiner Stelle der Handlung dem Part der Königin anzugliedern wäre und wohl auch geeigneter ist, auf sie gesungen zu werden, als von ihr selbst. Das Höflingslied (des Grafen Oskar) wurde mit neuen Zeitstrophen versehen. Hier wie auch sonst hat die freilich von der genialen Musik nicht lösbare Satire staatlicher und menschlicher Narrheit, ganz jenseits der Karikatur des Hofes Napoleons III., ihre Fortsetzbarkeit und also Gültigkeit bewiesen.

Eine vortreffliche Neuinszenierung hat, mit Herrn Spielmann und Fräulein Stojan, am 19. Januar 1897 im Carl-Theater unter Jauner stattgefunden. 1906 und 1916 waren noch recht anständige Aufführungen im Theater an der Wien und im Bürgertheater zu sehen, von der dominierenden Schmach des neuen Operettenwesens auf den Sonntag-Nachmittag verwiesen. Ganz im Zeichen dieses sieghaften Stiles hat die Carl-Theater-Reprise des Jahres 1924 den Zauber der Musik und den tiefholden Unsinn der Burleske vernichtet. Im Angesicht des nun erreichten Tiefstandes erfolgt die Einstellung dieses Gipfelwerks der heiteren Bühne in das »Theater der Dichtung«; sie rechtfertigt sich aus der Betrachtung »Grimassen über Kultur und Bühne« (»Die chinesische Mauer«), wo diese Distanz bereits abgesteckt ist, und aus den Aphorismen über die Operette (»Sprüche und Widersprüche«) und ist als rezitatorische Darbietung gleich der eines Nestroy’schen Werkes aufzufassen, ohne den Anspruch auf eine Leistung des Kunstgesanges zu erheben.

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Die Zuwendungen aus den Erträgnissen werden in der Fackel ausgewiesen

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