549. Vorlesung am 02.05.1930

Prag
02.05.1930

[Karl Kraus las im Mozarteum] ½8 Uhr, 2. Mai:

Die Prinzessin von Trapezunt.

Begleitung: Georg Knepler.

[Die Fackel 838-844, 09.1930, 128] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

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Theater der Dichtung

Die Prinzessin von Trapezunt

Operettte in 3 Akten von Jacques Offenbach

Text von Ch. Nuitter und E. Tréfeu, nach Julius Hopp bearbeitet von Karl Kraus

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Mit Zeitstrophen in den Couplets des Casimir, der Ballade der Regina und mit Strophen der Huldigung Zanettas für Offenbach

Begleitung: Georg Knepler

Textbuch (mit fehlerhaften Gesangstexten) »La Princesse de Trébizonde«, Opéra-bouffe en trois actes, bei Calmann-Lévy, éditeurs Paris, 3 Rue Auber

Klavierauszug bei Bote & Bock, Berlin (vergriffen)

Die Gestaltungen der geistigen Welt Offenbachs müssen und wollen den Anspruch auf eine musikalische Interpretation im streng technischen Sinne unerfüllt lassen. Die Wiedergabe erfolgt ohne Kenntnis der Notenschrift.

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Notiz des Wiener Programms

Die Bearbeitung ist wie immer im Sinne der stilistischen Erhaltung erfolgt, einer Restaurierung, deren erneuerndes Walten darauf abzielt, daß alles »wie alt« erscheine, während die unveränderte Übernahme des Dialogs in der verbalen Hervorhebung des Einzelvortrags vielfach Veraltetes aufwiese. Die sprachliche Auffüllung war diesmal weit weniger an den fast mustergültigen Gesangstexten Hopps als an der Prosa zu vollziehen, deren Anderssein erst durch ein vergleichendes Studium der Texte in Erscheinung träte. Das berühmte politische Couplet des Fürsten (»Wer den Leu wagt zu wecken, der kriegt’s mit dem Stecken«) und das oft zitierte vom Untertan (mit der Stelle: »Champagner zu schlürfen, haben s’ zuschauen dürfen«) sind schon einmal mit je einer Zeitstrophe vorgetragen worden, die — außer neuen — für den Gesamtvortrag (verändert) übernommen wurden. Die Ballade der Regina auf die Wachsfigur bot eine Fülle von Möglichkeiten zeitlichen Anschlusses. Die Partitur ist eines der entzückendsten Offenbach-Wunder, und das Datum der Erstaufführung im Théâtre des Bouffes-Parisiens weist auf die Arbeitsleistung, die dieser Schöpfungsfülle gepaart war: drei Tage danach hat Offenbach die Premiere der »Briganten« im Théâtre des Variétés dirigiert. Aus dem Tokayer-Gesang des dritten Aktes scheint ein Tropfen in die »Fledermaus« gefallen zu sein, deren kultivierte Musik ja auch von dem großen Rausch in »Pariser Leben« etwas bewegt ist. Das Buch — von den Autoren des alten Burgtheatereinakters »Eine Tasse Tee« — ist einer der bestgebauten Texte Offenbachs. Es dürfte schon einmal angedeutet worden sein, daß es, mit dem Zauber einer Luftspringerwelt und mit dessen Beziehung auf die Lebensdinge zwischen Nestroy und Wedekind spielend, diesem ein bestimmender Eindruck gewesen sein mag. Jedenfalls hätte er sein helles Entzücken an diesen Vorläufern der Arena gehabt, an der emporgekommenen Seiltänzerfamilie, die im Wohlstand von Nostalgie befallen wird und deren Vater, heißt es, dabei ertappt wurde, wie er sich in die Küche schlich, um Feuer zu fressen. Das Problematische des Vortrags lag nicht so sehr in der Schwierigkeit, die fortwährende Ensemblebewegung darzustellen, die durch jede Assoziation an die Artistenwelt entfesselt wird; denn im Gegensatz zu der Bühne, die den Temperamentsmangel der heutigen schauspielerischen Natur so fragwürdig durch Regiekünste ersetzt, ist dem »Theater der Dichtung«, das mit Stimme, Miene und Gebärde sein Auslangen findet, keine Aktion unerreichbar und nichts Menschliches fremd. Das große Hindernis schien die Rolle des Prinzenerziehers Sparadrap zu bieten, die im deutschen Text ganz auf die bekannten Wortverdrehungen (à la »Tibaktrafak«) jenes großen Komikers Knaack gestellt war, dem Herr Pallenberg seine Originalität verdankt. Solche Spezies der Wortkomik, im Munde des Vortragenden unmöglich, mußte durch eine andere Form sprachlicher Karikatur ersetzt werden, durch die die kostbare Figur als solche nicht verändert wird. Mit dem Personenverzeichnis der Wiener Erstaufführung verknüpft sich das Gedenken an eine liebliche Gestalt, von der ältere Kenner der Wiener Theaterdinge erzählen, an Fräulein Hermine Meyerhoff, die Darstellerin der Zanetta, der der Bearbeiter zum Schluß eine Huldigung für Offenbach zuweist. Sie hat es mit Presse und Krieg zu tun gehabt. Denn sie hatte den Mut, gegen ein Blatt Prozeß zu führen; und sie ist erst nach jener großen Zeit, die nirgendwo auf dem Erdenrund erbärmlicher war als in Österreich, gestorben, nachdem sie — als Greisin, aber Baronin Tatitscheff und Witwe nach einem russischen Diplomaten — von der k. u. k. Militärbehörde »konfiniert« und in der brutalsten Weise behandelt worden war. (Bis sich ein Sozialistenführer, sonst dem Verklungenen und Vertanen grundsätzlich abgeneigt, ihrer in edelmütiger Weise annahm.) Doch wird sich die Erinnerung länger und lieber dem Kapitel österreichischer Kultur, das die Offenbach-Premieren umfaßt, zuwenden als dem Abschnitt österreichischer Bestialität, die sich da sieghaft gegen den inneren Feind bewährt hat.

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