96. Vorlesung am 22.01.1917

Wien
22.01.1917

[Kraus'] Vorlesung im Kleinen Konzerthaussaal, 22. Januar: I. Wie es in London zugeht, das ist wirklich nicht mehr zu glauben / Schön brav sein, Wotan / Ein selten zitiertes Gedicht Grillparzers (und was ein Justizminister über die Presse sagt) / Aus: Goethe und alles / Kriegsberichterstatter / Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem / Die wackre Schalek forcht sich nit / Hiobsposten / Papierknappheit in Italien / Gedankenleser / Zeichen und Wunder / Aus: »Nachts« / Schweigen, Wort und Tat. II. Es ist alles da (mit einem Lichtbild) / Aus: Ein andres Antlitz (mit zwei Lichtbildern) / Ein Unhold / Die Fibel der Erwachsenen / Glück / Ein Spätromantiker / Aus dem Reich der Schaffner / Der Untergang der Verité / Man liest jetzt unaufhörlich .... / Die Insel / Es gibt jetzt eine Jerichoposaune .... / Das muß man richtig aussprechen können (mit einem Lichtbild) / (Vor dem Krieg:) Die bewaffnete Macht / Das ist so allgemein bekannt … / Ein Satz (des Paul Goldmann) / Was ham S’ g’sagt? / Der Traum ein Wiener Leben (mit Vorwort). III. Verse: Die Fundverheimlichung / Mit der Uhr in der Hand / Andreas Gryphius: Auf den Sonntag des letzten Greuels; Matth. 24. Ein Teil des Ertrages wurde wohltätigen Zwecken zugewendet. [Die Fackel 454-456, 01.04.1917, 27-28] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

[...]

I.

Wie es in London zugeht, das ist wirklich nicht mehr zu glauben (Manuskript)

Schön brav sein, Wotan

Ein selten zitiertes Gedicht Grillparzers

Aus: Goethe und alles

Kriegsberichterstatter

Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem

Die wackre Schalek forcht sich nit (September 1915)

Hiobsposten

Papierknappheit in Italien

Gedankenleser

Zeichen und Wunder

Aus: "Nachts" (Aphorismen)

Schweigen, Wort und Tat (Dezember 1915)

10 Minuten Pause

II.

Es ist alles da (Mit einem Lichtbild)

Aus: Ein anderes Antlitz (Mit zwei Lichtbildern)

Ein Unhold

Die Fibel der Erwachsenen

Glück

Ein Spätromantiker

Aus dem Reich der Schaffner

Der Untergang der Verité

Man liest jetzt unaufhörlich ...

Die Insel

Es gibt jetzt eine Jerichoposaune ... (September 1915)

Das muß man richtig aussprechen können (Mit einem Lichtbild)

(Vor dem Krieg:) Die bewaffnete Macht; Das ist so allgemein bekannt ...; Ein Satz (des Paul Goldmann); Was ham S' g'sagt

Der Traum ein Wiener leben (mit Vorwort)

5 Minuten Pause

III.

Die Fundverheimlichung (Verse)

Mit der Uhr in der Hand (Verse)

Andreas Gryphius: Auf den Sonntag des letzten Greuels; Matth. 24

Änderung und Kürzung des Programms vorbehalten

Ein Teil des Ertrags der heutigen Veranstaltung wird wohltätigen Zwecken zugewendet.

[...]

Der Vorleser schickt diesen Daten die Versicherung voraus, daß er dem Geschmack des Publikums zuliebe, welches Vorlesungen »aus eigenen Schriften« sichtbar bevorzugt, keineswegs auf die ihm selbst ungleich wichtigere Darbietung nie gehörter alter Dichtungen verzichten würde. Die Aufgabe, ein Endchen von Geist aus der schmutzigsten Epoche der Weltgeschichte zu retten, umfaßt ebensowohl die Bergung fremden künstlerischen Gutes wie seine eigene künstlerische Anfechtung der Schande. Er spricht um der geistigen Absicht willen, die dort keine andere als hier sein kann, wie des wohltätigen Zwecks, dem der volle Ertrag solcher Veranstaltungen gewidmet ist, die Erwartung aus, daß seine Hörer, die ihm bisher ohne publizistisches Zureden gefolgt sind, sich nicht von jener Menge beschämen lassen werden, die ihr völlig unerreichbare Klassiker hinnimmt, wenn die für routinierte Dilettanten wirkende Presse es empfiehlt. Überzeugt, daß der Text Shakespeares, Nestroys und anderer heute auch nicht zu annähernd ähnlichem Eindruck gebracht werden kann wie durch ihn, würde er ein ostentativ geringeres Interesse für das Wort dieser Dichter damit beantworten, daß er dem Publikum sein eigenes vorenthält. Die ihm zugeschriebene Eitelkeit reicht gern bis zu dem Glauben, daß er die großen Autoren besser als irgendeiner lese; nie wird sie sich des Wahnes vermessen, daß das Publikum, welches seinen eigenen Vorlesungen zuströmt, damit eine literarische Wertung zum Nachteil jener im Sinne habe. So bliebe nichts übrig, als der freiwillig übernommenen literarischen Pflicht, deren Erfüllung verhindert wird, wenigstens die andere, so leicht gemachte, zu opfern. Was zum Schutze fremder und eigener Dichtung aus dem Grunde notwendig wäre, weil das Publikum dort durch Enthaltung, hier durch Zuspruch bewiese, daß es nicht dem Wort, sondern dem Stoff Beifall spendet. Worauf verzichtet wird. Aber noch nicht auf die Hoffnung, die heute hier Versammelten vollzählig bei Shakespeare, Nestroy, Raimund und Claudius wiederzusehen.