Erinnerungen von Werner Kraft

Ich fuhr oft nach Berlin, um Karl Kraus zu hören. Das war Nahrung des Geistes und des Herzens, die für ein langes Leben gereicht hat. In der Nacht fuhr ich zurück, um am nächsten Morgen im Dienst zu sein. Offenbachs Perichole und Madame l’Archiduc, Offenbachs Blaubart und Großherzogin von Gerolstein, zur Klavierbegleitung gesungen, er konnte nicht singen, so haben seine Feinde gesagt, aber so nicht singen können, mit solcher Leidenschaft, mit solcher Heiterkeit, mit solcher Trauer, wenn Perichole den Abschiedsbrief an ihren Piquillo vorliest, „Wir müssen uns ein wenig trennen, Um froher uns wiederzusehn“, wenn Boulotte, Blaubarts sechste Frau, den Giftbecher trinkt, in dem Zuckerwasser ist, es war nur ein Schlaftrunk, und summt: „O du mein Gott, ist das der Tod?“ – es war hinreißend, es ist hinreißend.

[Werner Kraft, Spiegelung der Jugend. Frankfurt am Main 1973, S. 142]

[...] und ich sehe noch, wie Karl Kraus vor einer Berliner Vorlesung das Heft der ‚Fackel’ zeigte, voll Stolz, daß er den 'Totentanz' [von Frank Wedekind] gedruckt hatte.

[Werner Kraft, Das Ja des Neinsagers. Karl Kraus und seine geistige Welt, München 1974, S. 173]

AutorInnen: 
Datum: 
1973/74