Karl Kraus ca. Alfred Kerr

Berlin
07.09.1928 – 25.10.1929

[70.] In der Fackel 787-794, September 1928, widmete Kraus sich unter dem Titel "Der größte Schuft im ganzen Land … (Die Akten zum Fall Kerr)" gänzlich seiner Polemik gegen Kerr und der Berichterstattung über den Prozess gegen diesen (vgl. Akt 68). Das Heft wurde besonders in Berlin verbreitet und durch Plakate beworben. Daraufhin meldete sich spontan der junge Rechtsanwalt Botho Laserstein, ein Verehrer von Kraus, beim Verlag Die Fackel: "Hierdurch bitte ich Sie, Herrn Kraus folgendes zu unterbreiten: Im vorletzten Heft der 'Fackel' las ich, Herr Kraus sei in Berlin unsachgemäß vertreten worden. [...] Sagen Sie bitte Herrn Kraus, daß, wenn ihm meine schwachen juristischen Kräfte helfen können, ich jederzeit bereit sei, ihm im Kampf gegen den 'größten Schuft' beizustehen." (70.1.)

Schon kurz darauf waren Botho Lasersteins "juristische Kräfte" tatsächlich gefragt, denn auch Kerr reagierte auf diese Fackel. Er beantragte eine einstweilige Verfügung, die Kraus verbot, seine Kriegsgedichte zu vervielfältigen und zu vertreiben, wie Kraus es angedroht hatte, und klagte auch in diesem Sinne. Die einstweilige Verfügung wurde verhängt, da Kraus ihre Zustellung im Vortragssaal angenommen hatte. Was die Klage betraf, überlegten Samek und Laserstein, wie nun weiter vorzugehen sei. Sie befanden, dass das Landgericht Berlin nicht zuständig sei und führten das in ihrem Schriftsatz entsprechend aus. Die Verhandlung fand am 16. Oktober 1928 statt und bestätigte die einstweilige Verfügung: "Das Gericht muss allerdings aus der Heftigkeit und Hartnäckigkeit, in der dieser Kampf von beiden Seiten geführt wird, annehmen, dass der Antragsgegner seine Drohung, eine Veröffentlichung der Gedichte des Antragstellers vorzunehmen, nicht nur als satirische Redewendung gebraucht hat." (70.11.) Kraus wurde weiterhin verboten, die unter dem Pseudonym "Gottlieb" erschienenen Gedichte Kerrs gewerbsmäßig zu verbreiten und er musste 7/8 der Kosten des Prozesses tragen.

Ein Rechtsgutachten über das Urteil bestätigte Kraus dann allerdings darin, dass es ihm unbenommen sei die Gottliebgedichte in Österreich gewerbsmäßig zu verbreiten und dass er sie in Deutchland unentgeltlich verbreiten könne.

Samek und Laserstein entschieden sich dafür, keine Berufung ein zulegen, da es sehr wahrscheinlich war, dass auch der Hauptprozess verloren gehen würde und es sich also darum handeln musste, möglichst billig aus der Affäre herauszukommen. Die Polemik gegen Kerr ging in den folgenden Fackel-Heften weiter, doch Kerr reichte keine Klage mehr ein.