Karl Kraus ca. Verlag Melantrich

Prag
14.06.1934 bzw. 19.12.1933 – 27.05.1936

[192.] Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland schlug der tschechische Journalist des České Slovo und Kraus-Übersetzer Jan Münzer Karl Kraus vor, die bei einem Leipziger Kommissionär lagernden Buchbestände bei dem Prager Verlag Melantrich in Kommission zu geben, um sie vor einer eventuellen Vernichtung zu schützen.

Karl Kraus sagte zu, nicht so sehr, weil er die Vernichtung seiner Buchbestände fürchtete, sondern weil ihn die Möglichkeit interessierte, seine Werke beim Verlag Melantrich in Originalsprache in einer Sammlung europäischer Autoren unterzubringen. Es lag Kraus von Anfang an daran klar zu stellen, dass es nicht um einen Hilferuf seinerseits oder um eine mäzenatische Beziehung des Melantrich-Verlages zu ihm gehe. Erste Probleme ergaben sich bezüglich der Transportkosten der Bücher, für die der Melantrich-Verlag eine Garantie verlangte, die schließlich Jan Münzer, Karl Jaray und Max von Lobkowicz übernahmen.

Anders als vereinbart schickte der Verlag in weiterer Folge keine vierteljährlichen Abrechnungen und verlangte einen fünfzigprozentigen Anteil auch an den aktuellen 'Fackel'-Heften, obwohl für diese nur ein dreißigprozentiger Anteil vereinbart worden war. Als der Verlag Die Fackel und Kraus' Prager Rechtsanwalt Johann Turnovsky urgierten, kündigte der Verlag den Vertrag "zur Unzeit" auf bzw. behauptete er, dass der Vertrag eigentlich nicht rechtsgültig zustande gekommen, da Jan Münzer nicht berechtigt gewesen sei, für den Verlag zu verhandeln.

Karl Kraus reichte durch den Prager Rechtsanwalt Johann Turnovsky Klage ein und bekam Recht. Der Vertrag Melantrich musste Kraus die ihm zustehenden Gewinne überweisen, ohne die Transportkosten in Abzug zu bringen. Interessant ist allerdings, dass das Gericht im Urteil – trotz des für Kraus günstigen Ausgangs – betonte, dass der Zeugenaussage von Karl Kraus weniger Glauben zu schenken sei als jener der Mitarbeiter des Melantrich Verlages (siehe 192.23 Urteil und 192.24 Brief Turnovskys).