Rezension der Münchener Neuesten Nachrichten

Seit etlichen Jahren, wenn es auf den Frühling zugeht, kommt Karl Kraus aus Wien. Und die nicht allzu große, aber begeisterte Gemeinde, die er hier besitzt, versammelt sich mit starken Erwartungen. Immer wieder fesselt das Schauspiel, diesen großen Hasser sich an den zahllosen Gegenständen seines Ingrimms entzünden und sich in die wildeste und heute denkbar konsequenteste Opposition zu einem Zeitalter setzen zu sehen, das er verachtet. Aber der Künstler in ihm ist doch stärker, als der soziale Ankläger, und wenn man so recht tief hinein- horcht in das gellende Feuerwerk, das dieser Zornige abbrennt, hineinhorcht in das infernalische Brausen dieses Raketenregens, so tönt aus dieser Eruptionsmusik die Stimme eines Kindes. Und die trauert Jean Paul nach und seiner versunkenen Traumwelt aus Reinheit und Schönheit.

Kraus las aus den Glossen und Dichtungen, die den Lesern der Fackel zum großen Teil bekannt waren, und fand für seine temperamentbeschwingte Interpretierung stärkste Anteilnahme und einen Beifall, der sich zuletzt zu einer so intensiven Ovation verdichtete, daß sich Kraus zu Zugaben verstand. E.

[Münchener Neueste Nachrichten, **.02.1914 zitiert in: Die Fackel, 395-397, 28.03.1914, 36-37] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

 

Datum: 
**.02.1914