Rezension der Münchner Zeitung

R. B. [...] Kraus hat vor vielen andern Satirikern eines unbedingt voraus: den Mut zum Kühnsten, Gewagtesten, ja schier Unmöglichen. [...] Und es ist deshalb kein Wunder, daß er der grimmigsten Feinde ein ganzes Heer wider sich hat. Aber auch die Zahl seiner Freunde wächst von Jahr zu Jahr. Und wenn ihn die einen wegen seines Wahrheitsmutes lieben, so tun es die andern um seines glänzenden Geistes willen, der sich in einem blitzenden, originellen, witzigen, jedes Ding bei der Wurzel fassenden Stil offenbart. Das vollkommene Erfüllt-Sein von einer Sache, dem die Satiren und Glossen dieses Gottesstreiters einen guten Teil ihrer Unwiderstehlichkeit danken, gibt übrigens auch seinem Vortrage etwas ganz Besonderes, Faszinierendes, sodaß man ihm sogar zweieinhalb Stunden lang ohne Ermüdung zuhören kann, was nur bei den wenigsten Rezitatoren möglich ist. Kraus begann am 29. März im Jahreszeitensaal, zu Ehren des 150. Geburtstages Jean Pauls, mit einem phantastischen Stück dieses ihm in Manchem Geistesverwandten und ließ dann eine Reihe seiner eigenen wirksamsten Satiren gegen das reaktionäre Wienertum, gegen Gelehrtenschwulst und -Dünkel und gegen allerlei Häßlichkeiten, Philistrositäten und Muckereien unserer Zeit folgen. Selbstverständlich ging es auch wieder gegen Maximilian Harden, dessen unnatürlichen Stil Kraus mit seinen elegantesten und dabei wuchtigsten Degenstößen zur Strecke brachte. Einige schien das zu verdrießen, die meisten aber dankten es ihm mit immer wieder erneutem Beifall, der auch allen anderen Satiren in reichstem Maße zuteil wurde. Sogar Blumen kamen geflogen. Moissi hat also nichts mehr apart.

[Münchner Zeitung,  31.03.1913, zitiert in: Die Fackel 374-375, 08.05.1913, 22-23] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

 

Datum: 
31.03.1913