Rezension der Volksstimme Mannheim

[...] Aus Alltäglichkeit, Zeitungen, einlaufenden Briefen, Straßengeschrei schöpft dieser Redner, dieser Dichter, dieser Künstler der Sprache ein gewaltiges Werk von selbstverständlichem Spott, der aber durch die Wahrheit der Tatsachen zum entsetzlichen Ernst wird. Wo wir anfänglich noch lachten, erstarrt allmählich unsere Miene zur Scham, einer Zeit anzugehören, die den Anspruch auf Kultur macht, die aber ihre Kultur gerade ins Gegenteil umsetzt. Alles ist eitel, alles ist Schwindel, alles ist Unwahrheit, Lüge, die Errungenschaften des Wissens verwandeln sich zum Fluch der Menschheit, die Bildung ist im Grunde genommen Unbildung, die Tiefen des Lebens verzerren sich zur grotesken Äußerlichkeit: die Welt der Woche [...]. Wer dieser Morgenfeier, diesem Gottesdienst des Gedankens, dieser Stunde reiner Kultur, nicht beigewohnt, hat sich selbst an seinem eigenen Geist, so er überhaupt noch einen besitzt, versündigt. Die Gläubigen aber, die erschienen, feierten Karl Kraus; ein neuer Prophet war ihnen erschienen, den sie von Angesicht zu Angesicht schauen durften und mit eigenen Ohren hören konnten. -n.

[Volksstimme Mannheim, **.02.1914 zitiert in: Die Fackel, 395-397, 28.03.1914, 40-41] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

 

Datum: 
**.02.1914