Prozess Leo Schmidl ca. Emmerich Békessy

Wien
07.01.1925 – 21.11.1927

[57.] Leo Schmidl protestierte in einem Aufruf "gegen die Schande, dass sich in dieser Stadt, ungehemmt von jeder staatlichen oder gesellschaftlichen Macht, das Revolverblatt eines der ehrlosesten Journalisten des balkanisierten Mitteleuropa, 'Die Stunde' des Imre Bekessy, einbürgert." Békessy treibe Missbrauch mit der Pressfreiheit und besonders empörend sei dabei "die nun schon Monate andauernde, mutwillige Schmähung der Privatehre eines der reinsten Repräsentanten der Wiener öffentlichen Ehre, Karl Kraus". (57.1.) Im Sinne dieses Aufrufs sammelte Schmidl Unterschriften für eine Reform des Pressgesetzes in der Buchhandlung Richard Lányi. In mehreren Wiener Tageszeitungen wurde daraufhin ein anonymes Inserat geschaltet: Man könne bei Leo Schmidl fürs "Adressensammeln" einen "hübschen Nebenverdienst" erwerben. Viele Arbeitslose erschienen daraufhin von Leo Schmidls Tür in der Koppstraße 39. In einem Artikel in der Stunde nahm Békessy kurz darauf Stellung zu dem Vorwurf der Arbeiter-Zeitung, dieses Inserat selbst geschaltet zu haben. Er wurde dabei ausfällig gegen Schmidl, den er als exaltierten, unreifen, hysterischen Burschen bezeichnete. Im weiteren Prozessverlauf versuchte Békessy zu beweisen, dass Schmidl unter einer Geisteskrankheit leide. Oskar Samek stellte sich als Vertreter des jungen, fast mittellosen Schriftstellers Leo Schmidl zur Verfügung und klagte Békessy und Fritz Kaufmann wegen Ehrbeleidigung. Kaufmann wurde tatsächlich verurteilt, doch Békessy entzog sich der Verurteilung durch Flucht ins Ausland. Die Klage gegen ihn wurde schließlich aus praktischen Gründen zurückgezogen. In einem Memorandum an Karl Kraus hielt Samek fest: "Als ich mich mit dem Fall beschäftigte, erkannte ich sofort, dass hier die Möglichkeit gegeben sei, das ganze Material Bekessys aufzurollen, was bis dahin daran scheiterte, das Bekessy Sie niemals geklagt hatte und auch Ihnen keinen Anlass zu einem Prozess gab, in dem eine Aufrollung des Materials sachgemäss gewesen wäre." (57.45)