Rezension der Ostdeutschen Rundschau

Fackel-Kraus in Berlin. Der Spinoza der Leopoldstadt hat an der Spree seine unsterblichen Werke vorgelesen. Mit welchem Erfolge, das beweist die nachstehende Kritik des bekannten Heinrich Binder: »Und nun war Kraus in Berlin. Er las hier im Choralion-Saal seine neuesten Werke vor, um den Berlinern einmal zu zeigen, was eine Harke ist. Was sah und hörte man: Den affektierten, hohlen, in Worten schwelgenden, urechten Weaner — Viel Schmalz, viel Hamur, viel Duliöh! — Und wenn man dann liest, wie dieser Mann so alles von oben herab behandelt, so gewinnt man die Überzeugung, daß das stärkste der treibenden Elemente bloß der Größenwahn ist. »Der Harden Wiens«, — »der Rabelais der Donau« und der »Schopenhauer Österreichs« wird er oft genannt und ganz versteckt zwischen den Zeilen nennt er sich auch selber gern so. Nachdem ich ihn gehört habe, möchte ich ihn noch den »Buddha des Praters« und den »Literaturschrammel des zwanzigsten Jahrhunderts« nennen. Ich will noch einen kleinen Zug aus seinem Leben erzählen, der bezeichnend für seine Wesenheit ist: Jeden Nachmittag zieht Kraus in Wien in ein Café. Dort sammeln sich an einem Tisch viele Leute mit langen Haaren und schmutziger Wäsche. Also Leute, die den bedenklichen Beruf eines Dichters ausüben. Sie sitzen um Kraus herum mit gezücktem Bleistift. Und jedes Wort, das von des Meisters Lippen fällt, wird aufgeschrieben. Jede Perle notiert. Und mit verzücktem Augenaufschlag sagen die ungewaschenen Peliden: »Das war wieder göttlich. Das war echt Kraus.« — Und dann bezahlt Kraus eine »Runde Schwarzen« und hält sich wieder einmal für den Bismark unserer Zeit. Er kann es ja. Er hat viel »Göld« und gibt die ‚Fackel‘ heraus. In einer Stadt, in der die Uhr immer eine Stunde nachgeht und in der ein solcher Mann noch etwas werden kann. Auf dem harten Boden Berlins würde er nicht ernst genommen werden. Nur im Café des Westens, am Tische der Elsa-Lasker-Schüler, würde er eine führende Rolle spielen.«

[Ostdeutsche Rundschau,  16.12.1912, zitiert in: Die Fackel 366-367, 11.01.1913, 35-36] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

 

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Datum: 
16.12.1912