226. Vorlesung am 29.03.1922

Wien
29.03.1922

[Karl Kraus las im Festsaal des Niederösterreichischen Gewerbevereins am] 29. März, 7 Uhr:

I. Das Notwendige und das Überflüssige (nach »Die beiden Nachtwandler«), Posse mit Gesang in zwei Akten von Johann Nestroy, bearbeitet vom Vorleser.

II. Nestroy: Das Entree und die beiden Couplets des »Zerrissenen« (diese mit je einer Zusatzstrophe. Musik von Mechtilde Lichnowsky) / Entree des Lorenz aus der »Verhängnisvollen Faschingsnacht« mit dem anschließenden Monolog und einigen Szenen / Entree des Knieriem aus der Fortsetzung des »Lumpazivagabundus« mit Vorbemerkung aus der »Sprachlehre« / Couplet des Federl »Dieses G’fühl …« (mit zwei Zusatzstrophen) / Entree des Willibald (wiederholt. Musik zu diesem und dem vorhergehenden von Mechtilde Lichnowsky) / Kometenlied des Knieriem mit Monolog und der voraufgehenden Szene. — Frank Wedekind: Die Hunde (mit Originalmusik) / Der Zoologe von Berlin / Brigitte B. (mit Originalmusik). — Detlev v. Liliencron: Die betrunkenen Bauern. — Karl Kraus: Die Ballade vom Papagei / Mir san ja eh die reinen Lamperln / Couplet des Schwarz-Drucker aus »Literatur« (Musik zu diesen nach Angabe des Verfassers).

Auf dem Programm: »Die Buchausgabe — mit Notenbeilage und einem Vorwort des Bearbeiters — ist im Verlag R. Lányi zum Preise von 200 K erhältlich; ihr voller Ertrag fällt wohltätigen Zwecken zu. Es ist bemerkenswert, daß selbst dieser Umstand dem billigsten Buch — von dessen künstlerischer Bedeutung abgesehen — noch zu keinem erheblichen Absatz verhelfen konnte.« Was sehr bald seine Wirkung getan hat.

[Die Fackel 595-600, 07.1922, 67-68] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Programmzettel

[...]

I

Das Notwendige und das Überflüssige

(nach »Die beiden Nachtwandler«)

Posse mit Gesang in zwei Akten von Johann Nestroy

Bearbeitet vom Vorleser

[...]

II

Nestroysche Couplets (aus dem »Zerrissenen«, »Die schlimmen Buben in der Schule«, »Papiere des Teufels«, »Lumpazivagabundus« etc.) - Musik von Mechthilde Lichnowsky und Anderen. Wedekind, Liliencron, Karl Kraus.

[...]

Da dem besondern wohltätigen Zweck zuliebe die Preise vom Veranstalter wesentlich erhöht worden waren und am ersten Abend leider ein Teil der teuersten Plätze unverkauft geblieben ist, so wurde, um der Künstlerhilfe für Rußland für die späteren Veranstaltungen auch diese Einnahme zu sichern, ausnahmsweise die Zustimmung erteilt, daß die Leitung der wohltätigen Aktion das zahlungsfähige Publikum durch die Presse verständige. Wie dieses Experiment ausgefallen ist, wird durch das folgende Schreiben an den Veranstalter R. Lányi dargetan:

Österreichische Künstlerhilfe für die Hungernden in Rußland Vorsitzender: Leonhard Frank Schriftführer: J. B. Schweide

Wien, 27. III. 1922

Euer Hochwohlgeboren!

Wir hatten zwar eine große Nachfrage nach Karten für dieVorlesung, konnten sie aber nicht verkaufen, da sie zu teuer befunden wurden.

In Bezug auf die Zeitungen haben wir unser Möglichstes getan: Wir haben laut Vereinbarung mit Ihnen am 21. d. an 16 Wiener Zeitungen folgende Notiz gesandt:

»Vorlesungen zu Gunsten der Österr. Künstlerhilfe für die Hungernden in Rußland.

Karl Kraus hat uns durch die Buchhandlung Lányi für die am 10. III. stattgefundene Vorlesung als gesamtes Reinerträgnis 264.272 K 50 h überwiesen. Karl Kraus wird noch folgende Vorlesungen für denselben Zweck halten:

Montag, den 27. März, ¾ 7 Uhr, im Ingenieur- u. Architektenvereinssaal: Shakespeare, »Die lustigen Weiber von Windsor«.

Mittwoch, den 29. März, ¾ 7 Uhr, im Festsaal des Gewerbevereines: Nestroy, »Das Notwendige und das Überflüssige« und anderes von Nestroy.

Donnerstag, den 30. März, ¾ 7 Uhr, im Festsaal des Gewerbevereines: Shakespeare, »König Lear«.

Karten sind in der Österreichischen Künstlerhilfe für die Hungernden in Rußland, Hofburg, Michaelertor, Feststiege und in der Buchhandlung Lányi, Kärntnerstraße 44, erhältlich.«

Am 24. d. sandten wir dieselbe Notiz (ohne den 1. Absatz und mit dem Vermerk, daß der Kartenverkauf in Ihrem Theaterkartenbureau auch Samstag und Sonntag stattfindet) wieder an alle Zeitungen. Die »Arbeiter-Zeitung«, die auch diese Notiz mit einem persönlichen Brief an den Chefredakteur Fr. Austerlitz von uns erhielt, hat sie vollständig im Morgenblatt vom 25. d., auf Seite 5, gebracht.

Wir haben alles unternommen, was in unseren Kräften lag, leider vergißt die Wiener Presse, daß es sich darum handelt, das Leben von Millionen von Menschen zu retten! Hochachtungsvoll

Hofburg, Michaelertor.

Österreichische Künstlerhilfe für die Hungernden in Rußland
J. B. Schweide