Der Vorleser

Der Vorleser

1892/1910 - 1936

Erinnerung von Salka Viertel

Der Saal war brechend voll, als wir dort eintrafen. Kraus kam aufs Podium, ein zerbrechlich wirkender, grauhaariger Mann; er wirkte leicht gebeugt, eine Schulter war etwas höher als die andere. Als er zu sprechen begann, überraschte die Kraft und die Klangfülle seiner Stimme, ihre hinreißende Modulationsfähigkeit, ihre unglaubliche Lebendigkeit. Er hatte ein klares, scharf geschnittenes Gesicht; das ausdrucksstarke Spiel seiner Hände fiel auf.

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Rezension durch Alfred Kerr

Karl-Kraus-Vorlesung.

 

 

Lustspielhaus.

I.

Neugier empfand ich, Kraus in seiner heutigen Thersituation zu sehen. Er hatte mich gestern, am Lützowufer war es, besucht — als Mitarbeiter derselben Breslauer Zeitung. Gestern; das Leben lag dazwischen. (Schiller: pfeilgeschwind.)

II.

Indessen Krach; Abgrenzung. Innen, bei mir, mit Lächeln. Er sagt jetzt wahrhaftig ein Gedicht, worin er schon zurückschaut. Auf die Wolter .... und so. Das liegt mir gar nicht.

AutorInnen: 

Erinnerung von Berthold Viertel

Karl Kraus, der Vorleser, wird jeden, der ihn vorher nur gelesen und nicht lesen gehört hatte, überraschen. Nicht daß er anders wäre, als man ihn sich vorstellen muss – als er ist! Aber die Energie, die Konsequenz der Durchführung überbietet auch den kühnsten Vorsatz, den der Leser im Geiste seines Autors gefaßt hatte. So wenig ist dieses Pathos gegen die Skepsis der Zeit gedeckt. Kein Burgtheater würde heute diese ungebrochene Tonfülle wagen, die ein Redner ohne Bühne und Kothurn erklingen läßt.

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