Der Vorleser

Der Vorleser

1892/1910 - 1936

Seiten

116. Vorlesung am 05.05.1918

05.05.1918
Berlin

[Karl Kraus las im Klindworth-Scharwenka-Saal am] 5. Mai, 12 Uhr: I. Jean Pauls Friedenspredigt an den Fürsten vor dem Kriege (aus »Levana oder Erzieh-Lehre«) / Beim Anblick eines sonderbaren Plakates / Unsere Pallas Athene! / Getreide aus der Ukraine / Vision / Elegie auf den Tod eines Lautes / Vor Abgang des Zugs / Diplomaten. II. »Die beiden Nachtwandler« von Nestroy (Musikbegleitung: Max Saal). III. Der Bauer, der Hund und der Soldat / Die Kriegsschreiber nach dem Krieg.

117. Vorlesung am 06.05.1918

06.05.1918
Berlin

[Karl Kraus las im Klindworth-Scharwenka-Saal am] 6. Mai, 7 Uhr: I. »Hanneles Himmelfahrt« von Gerhart Hauptmann (Musikbegleitung: Max Saal). II. Beim Anblick einer Schwangeren / Grabschrift / Vor einem Springbrunnen / Wiedersehn mit Schmetterlingen / Als Bobby starb/ An einen alten Lehrer / Der Reim / Unterricht / Abenteuer der Arbeit / Bange Stunde / Gebet. [Die Fackel 484-498, 15.10.1918, 143] - zitiert nach Austrian Academy Corpus

Rezension des Berliner Börsen-Courier

Der Vorleser Karl Kraus ist eine notwendige Ergänzung und Fortsetzung des Schriftstellers. Die Energie, die seiner Satire den Ausdruck gibt, das Temperament, das seinem Pathos die Schwere und Dicke fernhält, stehen hinter seinem rezitatorischen Vortrag und nehmen ihm, gerade wenn Kraus sich selbst liest, alles kleinlich Propagandistische und aufdringlich Agitatorische. Kraus bleibt hell, scharf, präzise, plastisch.

AutorInnen: 

Rezension der Weltbühne

— — Daß seine vier Abende die Theatersaison aufwiegen, wäre kein hohes Lob, da diese Theatersaison nichts wiegt. Aber er nähm’ es mit jeder auf. Wenn er Dramatiker liest wie Nestroy, Hauptmann, Shakespeare, so ist das nicht Ersatz für die Bühne: sondern die Bühne mit ihrem gewaltigen Apparat ist ein unvollkommener Ersatz für die eine Stimme, die aus ihrer Fülle mühelos ganze Ensembles versieht.

AutorInnen: 

Rezension der Deutschen Montags-Zeitung

»Karl Kraus.«

Es steht ein Mann vor uns, der ein Kämpfer ist; ein Mann, des heißesten Lebens voll. Es steht ein Mensch vor uns, den wir lieben.

Sein Beruf? Der Antijournalist. Der Tagesschriftsteller, dessen Werke unsere Enkel lesen werden. Er packt das Sein in den alltäglichsten Begebenheiten: da wird es unter seinen Händen menschliches Schicksal. — —

Sein Thema? Das Leben. Und wo er’s faßt, greift er in Menschenschande. Er bausche es auf? Ach, man weint bei seinem trostlosen Spott, der unser Herz bluten macht: daß die Menschen so jämmerlich sind. — —

AutorInnen: 

Rezension des Vorwärts

Karl Krauß, der im überfüllten Bechsteinsaal las und den ganzen Abend lang bejubelt wurde, hat so überaus recht, wenn er behauptet, man müsse Tag für Tag in das vergeßliche Gehirn die Erinnerung an all das Elend, an all die Grausamkeit und Roheit des Krieges kneten, damit denen, die schon erneut sich anmaßenden Ton gestatten, ihr Treiben vorgehalten wird. Und es ist ja auch gewiß recht, daß über allen Wirren des Tages »das Lied der großen Zeit« schon fast aus dem Gedächtnis schwand, so daß nur noch ein verblaßtes gutmütiges Rückschauen vorhanden ist.