Der Vorleser

Der Vorleser

1892/1910 - 1936

Seiten

Rezension der Köbenhavn

Ein Karl Kraus-Abend

Von Karin Michaelis

Man hatte mir vorher gesagt: Gehen Sie nichthin, Sie werden nichts davon verstehen. Aber das war ein Irrtum. Ich verstand vieles, vielleicht die Hälfte, vielleicht nur ein Viertel. Aber was ich verstand, möchte ich nicht um vieler Premieren-Abende willen versäumt haben. Es war ein Erlebnis, und wer von uns sammelt nicht Erlebnisse?

Signatur: 
L-137743
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Rezension des Ton und Wort

Die Schwierigkeit, Karl Kraus zu ignorieren, wächst. Denn sein Publikum tut nicht mit, dieses Publikum, das ihm über neunhundert Köpfe stark am letzten Vorleseabend im Beethovensaal immer wieder zujubelte und durch ungestümen Beifall ihn fast eine Stunde länger als die gesetzte Zeit festhielt. Das ist eine durch kein offizielles Gazettenschweigen wegzuschaffende Tatsache.

Rezension des Tagesboten Brünn

Dr. P. H. Vorlesung Karl Kraus. Es kam so wie im verflossenen Jahre, als er zum ersten Male in Brünn las. Wer zum ersten Male hinging in Erwartung eines literarischen Ereignisses, der kam zurück von einem persönlichen Erlebnisse. Das ist kein Vorlesertisch, kein Vortragspodium. Es ist eine Bühne, auf der der Autor uns seine Werke vorspielt. Darum die spanische Wand, das Fehlen der üblichen Wasserflasche, die Verdunkelung des Saales — bühnenmäßige Technik. Das Organ des Künstlers ist bewunderungswürdig. Alle Laute des Lebens scheint sein Ohr erlauscht, sein Gedächtnis registriert zu haben.

Signatur: 
L-137743

Rezension des Mährisch-schlesischen Korrespondenten

....Abermals gedrängt voll ....Kein Wort geht aus seinem Munde verloren. Und seine Vortragsweise umfaßt alle Tonleitern eines durchgeistigten Sprechens. Vom ersten Auftakt in die spöttische Pointe, von der amüsierten Gutmütigkeit bis zur gellen, beinahe tragisch-ernsten Groteske. Und dabei hat diese Stimme einen so ergreifenden Klang. Ferne, verborgene Schönheit läßt sie manchmal ahnen, Schönheit, die sich gepanzert hat und dennoch jubelnd hinter herabgelassenem Visier triumphiert ....Aus allem der Grundton seines heiligen Zornes:der Kampf gegen die Banalitäten Wiens und Österreichs.

Signatur: 
L-137743

Rezension der Teplitzer Zeitung

.... Am Vortragstisch saß, wie weit entrückt, Karl Kraus. Bedächtig, professoral, leidenschaftslos begann er die Groteske »Der Traum ein Wiener Leben« zu lesen, immer leb- und leibhaftiger werdend, bis er am Ende wie ein losspringender Tiger in langgestreckten wuchtigen Sätzen über die künstlichen Frisuren und glatten Köpfe, über Straßen und Plätze hinwegzurasen schien, von einem Fiebertraum durchschüttelt.

Rezension der Deutschen Zeitung

Karl Kraus hat in Teplitz keine Gemeinde, aber alle, die das Erscheinen einer neuen ‚Fackel‘ mit Ungeduld erwarten, werden dem »Teplitz-Schönauer Leseklub« für den genußreichen Abend am vergangenen Samstag Dank wissen. Einen Meister des Worts und der Satire zu hören, ist ein Genuß. Karl Kraus kurzweg einen »Nörgler« zu nennen, ist grundfalsch. Kraus ist eine Zeiterscheinung, und sein Totgeschwiegenwerden in der Wiener Presse wird daran nichts ändern. [...] Es wäre zu wünschen, daß er die begeisterte Anhänglichkeit der Jugend durch ein größeres Werk rechtfertigt.

Rezension des Teplitz-Schönauer Anzeiger

...Wohl kaum ein zweiter Schriftsteller hat es zu derartiger weitverbreiteter Verhaßtheit gebracht, wie Kraus, der allerdings anderseits auch glühende Anhänger fand ....Mag sein, daß Kraus ein großer Stilist, jedenfalls ist er der größte Nörgler, den Österreich je erlebt hat …Auch in Teplitz haben wir eine kleine Krausgemeinde, die für ihn durchs Feuer geht ....Er las ..

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H.I.N.-202688

Rezension der Innsbrucker Nachrichten

Karl Kraus als Vorleser, seine eindringlich zupackende, kristallklar Glied an Glied reihende Sprachtechnik, seine Dynamik und Melodik wären schon ein Kapitel für sich. Jedes Für oder Wider über Karl Kraus müßte in einer Weise vorgebracht werden, die dem Niveau seiner geistigen Schärfe und der Schlagkraft seines Temperamentes entspräche, wenn der Beurteilende nicht selbst Gefahr laufen soll, seine eigene Inferiorität und Geringwertigkeit gegenüber dem Beurteilten zu erweisen und die Unfähigkeit zu dokumentieren, zu höheren Werten ebenbürtige Beziehungen zu gewinnen.

Rezension der Arbeiter-Zeitung

Leseabend Karl Kraus. In seinem Leseabend, der am letzten Montag im Saale des Architektenvereines stattfand, wollte Karl Kraus nur seine Kunst des Vorlesens bewähren: er verzichtete auf den Reiz, der aus der Vorlesung eigener Werke erfließt, und wählte Bruchstücke aus Jean Paul, Shakespeare und Luther, bei denen die Kunst des Vortrages den entfremdeten Stoff überwinden mußte.